Zugehörigkeiten ohne Grenzen – Ortsbeziehungen als Ortsattribute

Schloss Eltz, Wierschem, Foto: Jonny Caspari auf Unsplash, 2018.
1) Unvollständige Normdaten als Herausforderung
Im DigiKAR Projekt hinterfragen wir traditionelle Interpretationen frühneuzeitlicher Grenzen und erproben Möglichkeiten, Ortsbeziehung im Alten Reich ohne Rückgriff auf statische Polygone zu visualisieren. Deshalb möchten wir multiple Zugehörigkeiten als Ortsattribute erfassen. Während das Arbeitspaket “Kursachsen” den Schwerpunkt auf räumliche Strukturierung über Rechte legt und beispielsweise Grundherrschaft explizit modelliert, konzentriert sich das Arbeitspaket “Kurmainz” auf die Erfassung biographischer Daten. Durch diesen personen- und ereignisbezogenen Ansatz erfasst das Arbeitspaket “Kurmainz” Ortsdaten zunächst in enger Verbindung mit Institutionen, an denen Personen bestimmte Funktionen ausübten. So ergeben sich räumliche Netzwerke der Bildung, Lehrtätigkeit oder politischen Amtsausübung zunächst unabhängig von herrschaftlichen Strukturen.
Um Mobilität frühneuzeitlicher Amtsträger aber auch daraufhin untersuchen zu können, ob landesherrliche oder konfessionelle Verbindungen eine wesentliche Rolle spielten, möchten wir auch für Kurmainz zumindest ausgewählte territoriale Zuordnungen in unsere Daten aufnehmen. Eine pragmatische Möglichkeit, die Aktivitätszentren im Arbeitspaket in einen größeren Kontext zu stellen, besteht in der Verwendung verschiedener Hintergrundkarten, deren (meist geschlossene und unscharfe) “Flächen” bewusst mit unseren Daten kontrastiert werden können. Diese Vorgehensweise kann allerdings die Erfassung von Ortbeziehungen als Ortsattribute nicht ersetzen, weshalb möglichst bestehende Datensätze zu den Territorien des Alten Reichs verlinkt werden sollten. Unsere mit der Google Geocoding API und Geonames geokodierten und von Sven Dittmar manuell nachbearbeiteten Ortsdaten zu Kurmainz enthalten bereits Geonames IDs, über die auch andere Datensammlungen verknüpft werden können.
Ein erster Versuch, Ortsbeziehungen über die GND-Normdaten auszulesen, war allerdings nicht erfolgreich, da in den GND-Daten unter “Land” oft ahistorische Gebietsangaben wie z.B. “Bayern” oder “Baden-Württemberg” stehen, auch wenn es sich um vor 1806 aufgelöste Reichsabteien handelt. Dieselbe Information findet sich in den meisten Einträgen unter “Wirkungsraum”. Das Verständnis von “Land” und “Wirkungsraum” ist aus den Daten nicht unmittelbar ersichtlich. Ein Beispiel hierfür ist die Abtei Baindt, die der GND-Datensatz wie folgt beschreibt:
Link zu diesem Datensatz: https://d-nb.info/gnd/5048264-6
Organisation: Kloster (Baindt)
Andere Namen: Zisterzienserinnenreichsabtei Baindt; Zisterzienserinnenkloster Baindt (Reclam); Zisterzienserinnenabtei (http://www.kloester-bw.de/kloster1.php?nr=695 (Stand: 4.2.2011)); Kloster Baindt
Quelle: GKD, Dehio
Zeit: 1240-1802
Land: Baden-Württemberg (XA-DE-BW)
Geografischer Bezug: Ort: Baindt; Wirkungsraum: Baden-Württemberg
Weitere Angaben: Zisterzienserinnenkloster 1240 gegründet, 1802 aufgehoben, Konventsanlage ab 1841 größtenteils abgebrochen
Oberbegriffe: Beispiel für: Zisterzienserinnenkloster
Systematik: 3.5a Liturgik, Frömmigkeit
Typ: Religiöse Körperschaft (kir)
Der historische Abriss auf der verlinkten Webseite Klöster in Baden-Württemberg erklärt die konkrete Stellung der Abtei im Reich, doch diese Information fehlt im GND-Datensatz. Deshalb haben wir uns entschieden, versuchsweise Ortsbeziehungen über Wikidata zu rekonstruieren. Hier besteht die Schwierigkeit, dass Orte zwar korrekt historischen Territorien zugeordnet sind, diese Territorien aber wiederum nicht unbedingt mit dem Heiligen Römischen Reich in Beziehung gesetzt werden. Eine SPARQL-Abfrage jener Territorien, die in Wikidata als reichsunmittelbar erfasst sind (state in the Holy Roman Empire (Q26830017)), ergab nur rund 145 Einträge.
SPARQL-Abfrage zur Ausführung im Wikidata Query Service:
SELECT ?territory ?territoryLabel WHERE
{ ?territory wdt:P31 wd:Q26830017. # instance of state in the H.R.E.
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam wikibase:language "[AUTO_LANGUAGE]". } }
ORDER BY ?territoryLabel
Ergebnisdatei: Wikidata_states-in-the-HRE.tsv
Bei den meisten “states in the Holy Roman Empire” handelt es sich um Reichsstädte (“free imperial city”). In den Wikidata-Einträgen für einzelne Dörfer, Städte, Klöster etc. können wiederum unter “Land” (Eigenschaft P17) unterschiedlich viele Angaben aus unterschiedlichen Epochen hinterlegt sein, während die Beziehung von Territorien zueinander nicht zwingend abgebildet wird. Für die Stadt Mainz sind z.B. die folgenden, überdurchschnittlich umfassenden, “Land”-Angaben vorhanden:
| Germany | start time: 8 May 1945 | |
| Nazi Germany | start time: 30 January 1933 | end time: 8 May 1945 |
| Weimar Republic | start time: 9 November 1919Gregorian | end time: 29 January 1933 |
| German Empire | end time: 8 November 1919Gregorian | start time: 18 January 1871Gregorian |
| Grand Duchy of Hesse | start time: 9 June 1815Gregorian | end time: 17 January 1871Gregorian |
| France | start time: 17 February 1800Gregorian | end time: 8 June 1815Gregorian |
| Kingdom of Prussia | start time: 22 July 1793Gregorian |
end time: 17 February 1800Gregorian
|
| Republic of Mainz | start time: 18 March 1793Gregorian | end time: 22 July 1793Gregorian |
| Electorate of Mainz | start time :1462 | end time :17 March 1793Gregorian |
| Holy Roman Empire | start time: 1244 | end time :1462 |
| Electorate of Mainz | start time :780 | end time :1244 |
Viele andere Orte sind entweder nur mit der heutigen BRD verknüpft, oder enthalten Hinweise auf historische Territorien ohne genaue Zeitangaben. Um vage Hinweise auf historische Zugehörigkeit in unsere eigenen Daten übernehmen zu können, benötigen wir somit eine möglichst umfassende Liste frühneuzeitlicher Territorien und deren eigene Wikidata-Entity-IDs.
2) Wikidata-IDs reichsunmittelbarer Territorien als Grundlage einer Rekonstruktion von Ortsbeziehungen im Alten Reich
Einen Startpunkt für die Zuordnung von Orten innerhalb des Reichs bietet die ausführliche, wenn auch keineswegs vollständige, Liste reichsunmittelbarer Territorien und der zugehörigen Reichskreise, die Uwe Sebastian Sobotta auf seiner privaten Website veröffentlichet hat. Die Angaben dieser Webseite sind zeitlich meist nicht näher bestimmt und reichen ins Mittelalter zurück, aber die Liste eignet sich dennoch für einen Test des technischen Vorgehens. Sie kann später verfeinert und korrigiert werden.
Die Liste muss in ein computerlesbares Tabellenformat (hier: CSV-Datei) gebracht werden. Dann eignet sich das Wikimapper Paket für Python, um Wikidata-IDs für die Einträge der CSV-Datei in einem deutschsprachigen Index-Dump aus Wikipedia (z.B. TU Darmstadt 2019) zu finden. Ein Wikipedia-Index enthält die offiziellen Seiten-Titel in der gewählten Sprache. Unser vorläufiges Skript, das die Liste der reichsunmittelbaren Territorien mit dem Index abgleicht, ist auf Github verfügbar: JupyterNotebooks_DigiKAR/Python_Wikimapper_titles-to-id.ipynb
Im ersten Durchgang konnten wir 154 unserer gesuchten Einträge ohne weitere Bearbeitungen finden. Viele “Abteien”, “Herrschaften” und “Graftschaften” konnte Wikimapper jedoch nicht sofort zuordnen, da sie in den Wikipedia-Titeln unter abweichenden Namen vorkommen:
z.B. Schönau_(Herrschaft) statt Herrschaft_Schönau.

Kloster Elchingen, Foto: Effi Schweizer, 2006, Public Domain.
Besonders reichsunmittelbare Abteien, Stifte und Propsteien können erst dann identifiziert werden, wenn das Skript auch nach den alternativen Bezeichnungen sucht. Dafür müssen in das Python-Skript mehrere if-elif-else Funktionen integriert werden.
Mögliche Abweichungen klösterlicher Namen lassen sich z.B. über eine separate Liste prüfen, die das Skript Eintrag für Eintrag mit den Institutionennamen kombiniert:
# Define list of alternative names
religious_entities=["Fürstpropstei",
"Fürstabtei",
"Propstei",
"Abtei",
"Stift",
"Frauenstift",
"Damenstift",
"Chorherrenstift",
"Kloster",
"Gefürstete_Abtei",
"Gefürstete_Probstei",
"Gefürstete Abtei",
"Gefürstete Probstei"]
Die Bezeichungen “Herrschaft” und “Graftschaft” werden in Wikidata oft synonym mit “Reichsgrafschaft” oder “Reichsherrschaft” gebraucht. Für eine zuverlässigere Zuordnung der “Lande der […]” Einträge sind weitere Verfeinerungen des Skripts notwendig. Die vorläufige Übersicht der Wikidata-IDs reichsunmittelbarer Einheiten steht bereits im DigiKAR-Repositorium zur Verfügung: Sample Data/Territories_HRE_WikidataID.csv
3) Mapping von Geonames IDs und Wikidata IDs mit Pywikibot
Die geokodierte Liste wichtiger Ortsnamen, die wir für das Arbeitspaket “Kurmainz” erstellt haben, enthält die Geonames ID aller erfassten Orte. Das Python-Paket Pywikibot kann diese Geonames ID mit den entsprechenden Wikidata IDs verbinden und so das Auslesen der Beziehungen zwischen Orten und Territorien. Pywikibot führt SPARQL-Abfragen in den Wikidata-Einträgen aus, wobei auch Iterationen möglich sind. In Programmiersprachen bedeutet Iteration, dass bestimmte Anweisungen mit Abwandlungen wiederholt werden, bis das gewünschte Ergebnis erreicht ist. Mit dem Pywikibot können somit mehr Abfrage-Bedingungen definiert werden als in den üblichen Wikidata-Abfragen im SPARQL-Query-Serivce. Die eigentliche SPARQL-Abfrage, die der Bot ausführen soll, wird in einer eigenen my_query.rq Datei hinterlegt und über das Python-Skript ausgeführt, wobei jeweils neue Werte in die Abfrage integriert werden.
Eine einfache SPARQL-Abfrage, die für eine bekannte Geonames ID die Wikidata ID findet, ist folgende:
SELECT DISTINCT ?item ?itemLabel WHERE {
SERVICE wikibase:label { bd:serviceParam wikibase:language "de". }
{
SELECT DISTINCT ?item WHERE {
?item p:P1566 ?statement0.
?statement0 (ps:P1566) "2867714".
}
}
}
Die ID 28677714 steht in Geonames für München. Die entsprechende Wikidata ID ist wikidata:Q32664319. Dieselbe Abfrage kann (noch ohne Iteration) mit Pywikibot folgendermaßen in Python eingebunden werden:
import pywikibot
from pywikibot import pagegenerators as pg
# read query file
with open('C:\\Users\\p70076654\\Downloads\\SPARQL_mapGeonamesID.rq', 'r') as query_file:
QUERY = query_file.read()
#print(QUERY)
# create generator based on query
# returns an iterator that produces a sequence of values when iterated over
# useful when creating large sequences of values
wikidata_site = pywikibot.Site("wikidata", "wikidata")
generator = pg.WikidataSPARQLPageGenerator(QUERY, site=wikidata_site)
print(generator)
# OUTPUT: <generator object WikidataSPARQLPageGenerator.<locals>.<genexpr> at 0x00000169FAF3FD10>
# iterate over generator
for item in generator:
print(item)
4) Informationsverknüpfung mit Pywikibot
So können schließlich Verbindungen zwischen den Orten und den reichunmittelbaren Territorien über die Wikidata-IDs abgefragt werden. Das Skript Pywikibot_mapGeonamesID.ipynb, das in einem Jupyter Notebook nachgenutzt werden kann, sucht im zweiten Schritt nach einzelnen Orten aus unserer Ortsontologie über die nun bekannten Wikidata-IDs und fragt über die extern eingebundene SPARQL-Abfrage alle Einträge zu “Land” (P17) ab. Z.B.:
ORT: Q1770 Tallinn Q191 Estland Q15180 Sowjetunion Q156031 Reichskommissariat Ostland Q15180 Sowjetunion Q191 Estland Q139319 Russische Republik Q34266 Russisches Kaiserreich Q34 Schweden Q29140 Livländischer Orden Q35 Dänemark Q157605 Schwertbrüderorden Q35 Dänemark
Aus diesen Einträgen können wiederum die für die Untersuchungsepoche relevanten Territorien oder Herrschaftsträger ausgewählt und bei einer kartographischen Darstellung berücksichtigt werden. Den ersten Daten-Testexport basierend auf den für das Arbeitspaket Kurmainz gesammelten Ortsangaben finden Sie ebenfalls im DigiKAR-Repositorium auf Github:
OntologyFiles/Places_Wikidata_Towns_Countries.txt
Alternativ zu P17 soll in der nächsten Version des Skripts auch Eigenschaft P131 (located in the administrative territorial entity) berücksichtigt werden, um die Trefferrate weiter zu erhöhen. Langfrisitg wäre es wünschenwert die Datengrundlage in Wikidata insgesamt zu verbessern. Viele Gazetteer und Linked Data Projekte befassen sich derzeit mit der besseren Verknüpfung einzelner digitaler Ortsdatenbestände, aber auch eine Überarbeitung und Ergänzung der jeweils vorhandenen Informationen sollte angestrebt werden. Dies kann allerdings nur in flächendeckender Kooperation mit regionalen Expert:innen geleistet werden.
OpenEdition suggests that you cite this post as follows:
Monika Barget (July 24, 2023). Zugehörigkeiten ohne Grenzen – Ortsbeziehungen als Ortsattribute. INSULAE. Retrieved November 7, 2025 from https://doi.org/10.58079/qd9e
